Piko

Powerpaket Piko
Piko Portrait
Piko und Kathrin im Trab
Piko und Sibylle
Piko als Drache

1983 begann sein Leben als Sohn von Pik Primaire (Old.) aus einer Ronald (Holst) – Dollarprinz xx (ein ganz erfolgreicher Vollblüter, der Steeple Chaise mit hohem GAG ging) – und einer Lippizaner Urgroßmutter.

Piko war klein und unscheinbar, seine Besitzer waren enttäuscht, er wurde schnell verkauft. Als er drei wurde, war er recht schmächtig, seine Besitzer waren enttäuscht, er wurde verkauft. Beim Anreiten an Longe in kleiner Halle machte er Taktfehler, seine Besitzer waren enttäuscht, er wurde verkauft. Mit vier hatte er 4 erhöhte Rundeisen, eine chronische Augenentzündung und hatte Anlehnungsprobleme, seine Besitzer waren enttäuscht, er wurde verkauft. Er kam an eine 15jährige, die ihn mit Halfter probegeritten hatte. Sie wollte auf Turniere, er ging nicht am Zügel, also suchte sie sich professionelle Hilfe, und ein namhafter Springreiter, Deutschlandkader, bekam ihn in Beritt.

Bronski Beat – so hieß Piko damals, gehörte zu den schwierigen Pferden. Er wurde morgens geritten, wenn keiner zusah. Pikos Widerstand wuchs, sein Einfallsreichtum auch, er lahmte immer wieder, mal rechts, mal links, mal hinten, mal vorne.

Die Methoden, ihn zu bändigen, gewannen ebenfalls an Einfallsreichtum. Mensch und Tier waren im Krieg. Der Schlaufzügel war Alltag, doch wie sollte das Kind auf Turniere gehen? Die Kandare ließ Piko senkrecht steigen, der Schlaufzügel hielt seinen Kopf unten, er ging wiederholt durch. Die Kombination beider Methoden: Der Schlaufzügel durch den Hebel der Kandare führte zur Katastrophe. Er ging durch und überschlug sich mit seiner jugendlichen Besitzerin. Seine Besitzer waren entsetzt und enttäuscht, er wurde beim Schlachthaus angemeldet. Das war Juli 1991.

Mit mächtigem Schritt kam er bei uns an. Er sah aus wie sein Großvater, er strahlte Ruhe aus und soviel Angst, eine explosive Mischung aus Erstarrung und Kampf.
Beim Longieren kugelte er mir den Arm aus. Wir konnten nicht absteigen, ohne dass er hektisch zur Seite sprang. Er blieb unter dem Reiter NICHT stehen. Er lahmte in fast jeder Stunde mit wahllos irgendeinem Bein, bei darauf folgenden Proben lahmte er auf anderen Beinen, er konnte sich seine „lahmen Beine“ nicht merken. Wir konnten ihn nicht anbinden. Seine Beine waren kahl und entzündet, weil er alte vergammelte Bandagen trug – wie lange? Seine Besitzerin rief: „Guck mal, Mama, der hat vorne weiße Beine!“ – sie hatten die Bandagen immer umgelassen, wegen der Lahmheit. Die Hufe kaputt – eine durch und durch gebrochene Seele in einem geschundenem Körper.

Sein erster Weidegang ließ ihn 45 Minuten schreiend umhergaloppieren, in hysterischer Lebensfreude und tiefster Verzweiflung.
PIKO ist das sensibelste, verlässlichste und unerschrockenste unserer Therapiepferde. Ein Ausnahmepferd mit hervorragendem Schritt, den er dem Patienten angepasst wohl dosieren kann.

Er arbeitet mit Säuglingen, sog. Schreibabies, er hat krebskranke Frauen bis zum Tode begleitet, er arbeitet mit Unfallopfern, mit chronisch Kranken (MS), in der Frühförderung mit mehrfach behinderten Kindern, mit seelisch behinderten oder kranken Menschen, er hilft wo er kann. …

Er geht mit mir durchs Feuer, das hat er in zahlreichen Schaubildern gezeigt. Er ist ein hervorragendes Dressur- und Springpferd, fröhlich im Gelände und sehr sicher im Voltigieren.

Heute ist Piko 27 Jahre alt, er genieÿt die Ruhe in sich und um ihn herum und wir genießen die Ruhe und Gelassenheit, die er ausstrahlt. Er arbeitet kaum noch, alte Leiden fordern nun im Alter ihren Tribut. Er steht mit Duffy in Rente.

Es ist eine Ehre mit ihm zu sein, zu arbeiten und zu reiten.

Es gibt eine zweite Version seiner Lebensgeschichte

wir stellen diese hier nach – sie hat andere Schwerpunkte.

Piko, geb.  1983

„Ich suche ein Neues Zuhause für ein schwieriges Pferd, aber er hat einen guten Schritt – geführt kann er noch gehen. Sonst lahmt er – keiner weiß warum.“

Hätten Sibylle Wiemer und Berit Scupin ihn nicht genommen, wäre er am nächsten Tag zum Schlachter angemeldet, der Termin war 4. Juli 1991.

Der Wallach war 8 Jahre alt.

Berit und Sven Scupin und Sibylle Wiemer begannen damals, ihre Reit- und Pferdewelten zusammen zu legen. So entschieden sie, den Wallach zu übernehmen.
Als sie Piko zum ersten Mal sahen, dachten sie, man hätte Pik Bube persönlich gebracht. Ein mächtiger Rappe mit viel Weiß stand vor ihnen. Am Boden, beim Putzen und beim Führen strahlte er Gelassenheit aus. Mit riesigen Schritten wanderte er neben seinem Führer her. Seine Beine waren bandagiert, die Rundeisen mit Erhöhung waren ungepflegt und klapperten ein wenig.
Nein, er könne nicht auf eine Weide, er lahme ja. Die Bandagen bräuchte er immer, berichteten die Vorbesitzerinnen.
Die alten Wollbandagen waren verschmutzt, wir entfernten sie gegen ihren Willen: rosige, faltige Haut kam zum Vorschein, wenige weiße Haare standen waagerecht von der Vorderröhre ab. „Guck mal, Mama, der hat ja weiße Beine!“ ???? „Wir durften die Bandagen doch nicht abmachen wegen der Lahmheit.“

Sie stellten den Wallach auf eine riesige Wümmewiese. Er galoppierte 45 Minuten ohne Stop und Pause – er schrie ununterbrochen – nie zuvor hatten sie ein Pferd so erlebt – die Tränen liefen ihnen über die Wangen – pure Verzweifelung wurde deutlich – das war kein Wiehern, das war eine Befreiung.

Unruhig lief er an der Longe, Sibylle wollte sich bücken, um die Peitsche als Brems-Signal benutzen zu können. Er riss sie herum, ihre Schulter dem Auskugeln nahe. Pure Angst vor der Peitsche – kein Verstehen von Signalen, sondern Panik vor dem Gegenstand an sich. Geduld war gefragt – unendliche Geduld. 

Die ersten Versuche, ihn zu reiten, zeigten viele Probleme: am langen Zügel war alles in Ordnung. Beim Nachfassen humpelte er los, er war extrem schief und irgendwie brav dabei, willig folgte er den Hilfen, lahmend.
Piko brauchte Zeit, Geduld und Ruhe.

Er bekam „Kuschelstunden“ mit Kindern, weil er sich vor denen nicht fürchtete: Endloses Aufsitzen und Abspringen, bis er diese Bewegung nicht mehr als Einleitung zum Verhauen werden sah.
Sven – ein Westernreiter – half ihm die panische Angst vor einem Mann auf seinem Rücken zu nehmen, im Western Outfit gab es viele Ausritte. Berit und Sibylle liefen mit dem Maßband hinterher, sein hoppelnder Galopp maß zunächst 2,80 m pro Sprung. Wochen später streckte er sich dem Wind entgegen – der Galoppsprung wuchs auf 4,20 m. Er begann zu buckeln – fröhlich für den Menschen gefahrlos. 

Sven ritt ihn ohne alles auf der Weide, Draufspringen – mit der Stimme motivieren und im vollen Tempo runter an die Wümme galoppieren – im Einklang mit Natur und Pikos Seele.

Sibylle Wiemer hat noch nie um ein Pferd so viel geweint wie um Piko.
Sie recherchierte in seinem Leben. Er war gezüchtet worden, mit großen Erwartungen. Ein angesehenes Gestüt in Schleswig-Holstein hatte schon seinen Vater Pik Primaire gezüchtet, einen Pik Bube Sohn.
In namhafte Hand verkauft, genügte er den Erwartungen nicht, schon als Remonte machte er Taktfehler, wurde viel auf kleinen Linien longiert. Verlor da schon seine Mitte und seine Balance? Er lernte, dass er mit ganzer Kraft gegen Ausbinder und Reiterhand angehen musste. Und aufgrund zunehmender Aufrüstung seiner Reiter verlor er diesen Kampf. Piko griff zu anderen Mitteln, Steigen wurde seine Kunst.
6jährig wurde er verkauft, längst trug er erhöhte Rundeisen. Seine neue Besitzerin ritt ihn am Halfter Probe – was für ein braves Pferd.
Beim Reiten auf Trense begannen die Probleme, aber das Ziel des Turnierreitens war den Menschen deutlich vor Augen. Sie fanden einen renommierten Springreiter, Kaderreiter – er reitet für Deutschland. Piko wurde früh morgens geritten, wenn keine Gäste anwesend waren. Angesprochen auf Piko sagte er: „Ja, ich erinnere mich, ein bunter Rappe, zu sitzen wie ein Sofa – ein ganz sturer Hund.“
Als Bremse wurde die Kandare benutzt und als das Steigen nicht mehr zu verhindern war, zog man den Schlaufzügel durch den Hebel der Kandare. Mit drei Zügeln aufgerüstet, entfloh Piko seinem Reiter, er ging durch, er überschlug sich. !!! 

„Was passierte dann?“

„Dann hat ihn so ne verrückte Frau in der Heide gekauft!“ 

Sibylle Wiemer nahm das als Kompliment, sie war noch nie so gerne verrückt.
Das ist 19 Jahre her. Piko ist ein Ausnahmepferd. Er ist Therapeut, Lebensberater und Freund schlechthin, Ein Vorbild an Gelassenheit, In sich ruhen und stiller Persönlichkeit.

Er geht mit Sibylle durchs Feuer – in vielen Schaubildern hat er das gezeigt, Anja Mertens tanzte mit fliegenden Gewändern um das Paar herum und das Pferd weicht ihren Armen rückwärts ins Feuerspalier. „Music“ von John Miles und Filmmusiken wie „Der 1. Ritter“, „The mumie returns“ bleiben wohl immer seine Musik. Piko als Schauspieler, gerne im Rampenlicht stehend und stets engagiert.

Die Märchen seit 1996 im Reitzentrum Wümmetal bereicherte er als Märchenfiguren, der grüne Drache, als Segelschiff, die „dunklen Gedanken“ und als Dressurcrack.
Er ist das einzige Pferd nach Contra, mit dem Sibylle Wiemer nach ihren schweren Unfällen noch gesprungen ist. Ihm konnte sie vertrauen, obwohl er sich mächtig ins Zeug legte und liebend gerne Hindernisse „auf groß“ nahm – Sibylle im freien Flug.
Das Highlight seines Lebens waren nicht seine Erfolge als Schulpferd oder Showpferd.

In der Therapie rührt er viele Menschen zu Tränen, seine Arbeit mit Säuglingen war etwas ganz besonderes – man möchte sagen einzigartig neben Leo hat er diesen außergewöhnlichen Job erfüllt. Er war eingesetzt in der Frühförderung, Rehabilitation mit chronisch Kranken, mit Menschen mit Behinderung, im Voltigieren, er trug die Kandidaten durch diverse Longier- und Reitabzeichen. In den 90igern war er erfolgreiches Turnierpferd bis zur Klasse L – als Schulpferd mit dem Kaufvertrag und attestierter Unreitbarkeit .
Bei männlichen Reitern hat er noch 7 Jahre bis zum Kennen lernen Philippe Karls 1998 weiter gehumpelt – es erschien ihm wohl sicherer.

In diesem Sommer wird er 25, seine Altlasten haben ihn eingeholt, manchmal lahmt er. Ansonsten ist Piko gesund, mit zwei Ausnahmen war er immer gesund. Seit 15 Jahren geht er barfuss, seine Zahnstellung wurde beachtet, der extrem oben sitzende Hengstzahn verhinderte viel Jahre ein Reiten auf Kandare. Wir sind sicher, dass das Gebiss wohl in jungen Jahren ständig an diesen Zahn geschlagen hat – welch Tortur er dabei ertragen musste.

„Ich war im Krieg, bis ich zu Sibylle kam“ sagte Piko zu der Tiertelepathin Karin Müller, „Ich hatte ständig Angst, dass sie mir die Knochen brechen, ich war fest gebunden, gefangen. Mir blieben nur Krankheiten, die Hilfeschreie meiner Seele, aber das ist vorbei. Ich musste das erleben, um nun hier meine Aufgaben zu erfüllen.“

Als „seine“ Patientin mit 42 Jahren an Krebs starb, war Piko fast 4 Monate schwach, Untertemperatur, Unwohlsein, Arbeitsunlust – er brauchte eine Auszeit. Sibylle und er hatten über Jahre bis zu 5 mal wöchentlich mit dieser Frau therapeutisch gearbeitet, in einem Abschiedsbrief schrieb sie uns, dass Piko und das Reiten auf ihm zu den aussergewöhnlichsten und freudebringendsten Stunden ihres Lebens gehörten. Tiefe Dankbarkeit gegenüber diesem besonderen Therapiepferd.
Im März 2007 ging er in den verdienten Ruhestand, gemeinsam mit seiner Freundin Duffy steht er auf einer kleinen Weide im Nachbarort.
Wir lassen die beiden los – Zeit des Wandels, Zeit der Erneuerung.

Es ist eine Ehre, unseren Lebensweg von diesem Pferd begleitet zu wissen.

In tiefster Dankbarkeit

Sibylle Wiemer, Sven und Berit Scupin, Katja Lipp, Anja Mertens, Sirka Jipp, Astrid Schäffer, Saida Prodöhl, Birte Dittrich, Katrin Wille, Simone Reiter, Alexa Rüdel, Karin Müller und viele viele mehr.

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